
ANNIKA HOFGESANG
Wenn Tanz die Sprachen der Emotionen spricht
ANNIKA HOFGESANG
Wenn Tanz die Sprachen der Emotionen spricht
das KULTURgespräch
Es gibt Künstlerinnen, deren Bewegung mehr sagt als Worte. Annika Hofgesang ist eine dieser Tänzerinnen – eine Frau, die mit jeder Geste, jedem Schritt eine Geschichte erzählt. Ihr Tanz ist nicht nur Ausdruck, sondern Emotion in reinster Form. In ihren Bewegungen liegt eine Kraft, die uns berührt, fesselt und mitnimmt auf eine Reise jenseits der Sprache.
In diesem Gespräch unterhalten wir uns über die Magie des Tanzes, die Verbindung zwischen Körper und Seele und darüber, wie Bewegung Emotionen in ihrer tiefsten Form offenbart.
virtualdesignmagazine Michael Hiller
Projekte wie ParaSitten und The Lost Crew zeigen, wie tief du gesellschaftliche Themen erforschst und dabei interdisziplinäre Kunstformen entwickelst. Was bedeutet es für dich, Bewegung, Emotion und neue Medien zu verbinden – und wie würdest du deine künstlerische Welt in wenigen Worten beschreiben?
Annika Hofgesang
Nach meinem Tanzstudium wurde mir klar, dass ich eine besondere Verbindung zu verschiedenen Kunstformen habe – sei es Musik, bildende Kunst oder Medien. Dennoch sehe ich sie nicht immer als zwingend miteinander verbunden. Jede Kunstform hat ihre eigene, unverwechselbare Ausdruckskraft, die ich gezielt einsetze, um Geschichten zu erzählen und Emotionen zu wecken.
Für mich trägt jede Kunstform eine Art Bewegung in sich: Ein Pinselstrich ist wie ein Schwung, jedes Instrument hat eine einzigartige Stimme, und der Körper selbst wird zu einem lebendigen Instrument. Frühe Berührungspunkte mit Musik, Malerei und Film haben mich inspiriert, diese Elemente spielerisch in meiner Arbeit zu integrieren. Besonders spannend finde ich den Dialog, der entstehen kann, wenn Bewegung, Emotion und visuelle Kunst miteinander verschmelzen.
Schon als Kind fiel es mir schwer, Gerechtigkeit oder Machtpositionen zu verstehen. Ich erinnere mich, dass ich mir im Kindergarten oft die Frage stellte: Ab welchem Alter wird ein Mensch „perfekt“?. Schnell wurde mir bewusst, dass dieser Moment niemals eintritt.
Strukturen und Rituale gaben mir ein Gefühl von Sicherheit, doch gleichzeitig fühlte ich mich oft von der lebendigen, bunten Welt in meinem Kopf abgeschnitten. Diese innere Spannung hat mich herausgefordert, körperlich und geistig mit den Gedanken der Kunst zu spielen, die sich bis jetzt in meiner Arbeit wiederspiegelt.
vdm.digital Michael Hiller
Wann hast du deine kreative Leidenschaft entdeckt?
Annika Hofgesang
Meine Leidenschaft für Bewegung und Kunst begann schon früh: Mit vier Jahren trat ich einem Rollkunstlaufverein bei, mit sechs begann ich Ballett und Karate. Diese Disziplinen lehrten mich, wie viel Ausdruck und Stärke in Bewegung stecken können. Mit elf bastelte ich mit selbstgemalten Figuren, Licht und einer Kamera meinen eigenen kleinen Zeichentrickfilm – ein experimenteller Versuch.
In unserem Garten baute ich meinen eigenen kleinen Zirkus auf. Es bereitete mir unendlich viel Freude, Menschen zum Lachen zu bringen, Programme zu erstellen und sie mit einer Fantasiewelt zu begeistern. Schon damals spürte ich, dass ich Geschichten erzählen möchte und fand unterschiedenliche Wege meine Gedanken und Intuition umzusetzen.
vdm.digital Michael Hiller
Wie würdest du deine künstlerische Vision zusammenfassen?
Annika Hofgesang
Nach meinem Tanzstudium wurde mir klar, dass das Tanztheater meine Berufung ist. Es erlaubt mir, Kunst als Appell zu nutzen: Kunst kann ernste Themen aufgreifen, ohne zu bewerten oder belehren zu wollen. Sie schafft einen Raum, in dem alles seinen eigenen Wert und seine eigene Kraft entfalten kann – frei von starren Grenzen oder Labels.
Ich wünsche mir, in Zukunft noch stärker interdisziplinär zu arbeiten und meine Visionen mit Unterstützung weiterzuentwickeln. Kunst bietet die Möglichkeit, Menschen auf emotionaler Ebene zu erreichen und gleichzeitig gesellschaftliche Themen spielerisch und zugänglich zu machen. Das ist die Kraft, die sie für mich so einzigartig macht.
vdm.digital Michael Hiller
Persönlichkeit und Vision:
Annika, dein Schaffen verbindet immer wieder unterschiedliche Disziplinen. Was treibt dich an, ständig neue Wege und Ausdrucksformen zu suchen?
Annika Hofgesang
Jede Kunstform trägt ihre eigene Energie und Dynamik in sich. Für mich ist es unglaublich faszinierend, diese verschiedenen Disziplinen miteinander in Dialog treten zu lassen und neue Verbindungen zu schaffen. Es ist wie bei einem Schiff, auf dem jede Rolle essenziell ist: Der Matrose, der anlegt, der Koch, der die Besatzung versorgt, der Kapitän, der den Kurs hält, und die Krankenschwester, die im Notfall da ist. Ohne das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Fähigkeiten würde das Schiff nicht seine volle Funktion entfalten können – genauso sehe ich die Kunst.
In meiner Arbeit möchte ich bewusst verschiedene Kunstformen zusammenbringen. Jede hat ihre eigene Rolle: Der Tanz ist das Herz, das den Rhythmus vorgibt, die Musik ist die Stimme, die uns emotional führt, und die visuelle Kunst schafft Räume, in denen die Geschichten lebendig werden. Es geht mir nicht nur darum, diese Elemente zu kombinieren, sondern ihre wesentlichen Eigenschaften zu bewahren und sie so miteinander zu verbinden, dass etwas Neues und Größeres entsteht.
Ich suche ständig nach neuen Wegen, weil ich glaube, dass Kunst nicht nur Unterhaltung ist, sondern ein Werkzeug, um die Welt zu verstehen – und uns selbst. Sie fordert uns heraus, öffnet Perspektiven und verbindet Menschen. Jedes neue Projekt ist für mich eine Gelegenheit, eine neue „Crew“ zusammenzustellen, deren Ziel wir erst am Ende wirklich begreifen.
vdm.digital Michael Hiller
Wenn du dich nicht über deinen Beruf, sondern über eine Bewegung beschreiben müsstest – welche wäre das und warum?
Annika Hofgesang
“Wenn ich mich über eine Bewegung beschreiben müsste, wäre es die eines Steins.
Ein Stein wirkt zunächst fest, schwer und unbeweglich – doch sobald er ins Rollen gebracht wird, entfaltet er eine unerwartete Dynamik. Mit der Zeit passt er sich an, rollt weiter, stößt Hindernisse aus dem Weg und hinterlässt Spuren, während er vorwärtsstrebt.
Diese Metapher beschreibt für mich auch den kreativen Prozess: Es beginnt mit einem festen Kern – einer Idee, einer Vision. Sobald der erste Impuls gesetzt ist, kommt alles in Bewegung, und der Prozess entwickelt sich auf eine einzigartige Weise weiter.” Ein echter „Rolling stone“
vdm.digital Michael Hiller
„Was passiert in deinem Kopf, wenn eine neue Idee für eine Choreografie entsteht? Gibt es bei dir eher Explosionen oder fließende Bewegungen?“
Annika Hofgesang
Wenn eine neue Idee für ein Stück entsteht, denke ich zuerst an das große Ganze – wie soll das Stück wirken, welches Gefühl soll es vermitteln? Es ist, als würde sich ein Film in meinem Kopf abspielen. Oft bleiben jedoch nur Bruchstücke dieser Vision übrig, die sich real umsetzen lassen – ein faszinierender, aber auch herausfordernder Prozess.
Anschließend entstehen in meinem Kopf bewegte Bilder, die ich meist in drei unterschiedliche Stimmungen unterteile. Zu Beginn gebe ich den Tänzerinnen Improvisationsaufgaben. Diese helfen mir, ihre individuellen Charaktere zu entdecken und ihnen die passende Rolle im Stück zuzuordnen. In meinen Choreografien gibt es immer wiederkehrende, explosive sowie militärisch anmutende Bewegungen, die als Ensemble eine Art Markenzeichen meiner Arbeit geworden sind.
Da ich bewusst mit sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten und Tänzerinnen arbeite, nehme ich mir oft die Zeit für Einzelcoachings. So kann ich ihren körperlichen Ausdruck gezielt entwickeln und vertiefen. Das Stück erfordert manchmal sehr spezifische Qualitäten – etwa unwillkürliche Bewegungen, die Krankheitsbilder widerspiegeln, oder die Neuinterpretation klassischer Folktänze, die entfremdet werden und dadurch neue Bedeutung erhalten.
Mein Ziel ist es, das individuelle Potenzial jeder Tänzerin herauszufordern und zu stärken – niemals, sie zu brechen. Für mich ist es wichtig, dass jede Tänzerin authentisch bleibt und sich in ihrer Rolle nicht nur technisch, sondern auch emotional entfaltet.



