
vdm.digital Michael Hiller
Technologie und die Zukunft des Tanzes. Welche ungetanzte Idee schlummert in dir und wartet darauf, auf die Bühne zu kommen?
Annika Hofgesang
Eigentlich stehe ich technologischen Fortschritten im Tanz eher kritisch gegenüber. Doch da ich sehr offen für experimentelle Ansätze bin, habe ich eine Vorstellung für eine Solo-Performance, die sich mit diesem Thema auseinandersetzt:
Ich sitze auf der Bühne und blicke in eine Kamera. Auf einer Leinwand wird eine KI-Kreation von mir projiziert – eine Weiterentwicklung meines Selbst, quasi mein “zweites Ich”. Diese KI-Version würde meine Bewegungen interpretieren, sie als Geschichte erzählen und gleichzeitig mit mir interagieren. Es entsteht ein Dialog zwischen den beiden “Wesen” – mir und meinem digitalen Ebenbild –, die sich gegenseitig hinterfragen und herausfordern.
Zusätzlich könnte mein Körper mit Sensoren versehen sein, die durch meine Bewegungen Musik erzeugen. Dadurch würde eine direkte Verbindung zwischen Tanz, Klang und Technologie geschaffen, die dem Publikum eine völlig neue Erfahrung bietet.
Diese Idee bietet viel Raum für Experimente und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die Geschichte und das Konzept würde ich selbstverständlich noch weiter ausarbeiten, aber diese Vision könnte eine spannende Verbindung zwischen Mensch und Technologie auf der Bühne sichtbar machen.
vdm.digital Michael Hiller
Wie siehst du die Rolle von KI und digitalen Technologien in der Zukunft des Tanzes? Sind sie für dich Partner, Werkzeuge oder eine Konkurrenz, und wie könnte sich dadurch der menschliche Ausdruck verändern?
Annika Hofgesang
Tanz und Theater sollten genau das Gegenteil bewirken von dem, was technologisch auf uns zukommen wird – genau deshalb tanze ich. Natürlich können wir einige Vorteile der Technologie als Werkzeuge nutzen, um ein Stück leichter aufzubauen oder um neue Technologien gezielt in eine Inszenierung zu integrieren.
Doch da solche technologie-basierten Stücke in Zukunft wahrscheinlich immer häufiger zu sehen sein werden, finde ich es für mich persönlich nicht besonders spannend, einfach “mitzuziehen”. Stattdessen interessiert mich vielmehr, darauf zu reagieren – was diese Entwicklungen mit uns als Menschen machen, wie sie uns verändern und welche neuen Fragen sie aufwerfen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass ich solche Ansätze komplett ausschließe. Wenn ich ein Thema oder ein Angebot spannend finde, bin ich offen dafür, mit Technologie zu arbeiten. Für mich steht jedoch immer der menschliche Ausdruck und die Reflexion über die Auswirkungen im Vordergrund.
vdm.digital Michael Hiller
Man sagt, KI kann Kunst erschaffen, aber nicht „fühlen“. Was bedeutet „Fühlen“ für deine Arbeit – und kann eine Maschine jemals eine ähnliche Tiefe erreichen?
Annika Hofgesang
Kunst und Geschmack sind bei jedem Menschen sehr unterschiedlich – das zeigt sich besonders gut in der Malerei, wo Menschen Kunst auf ganz verschiedene Weisen wahrnehmen und attraktiv finden.
Ich sehe derzeit viele Kunstwerke, die gesellschaftskritische Themen wie Feminismus behandeln. Dabei fällt auf, wie unterschiedlich solche Themen künstlerisch umgesetzt werden, sei es in der Malerei oder in der Bühnenkunst. Meine eigene Kunst unterscheidet sich davon oft stark, da ich zu manchen aktuellen Themen einen anderen Zugang habe und nicht automatisch mit einem „Trend“ mitgehe, nur weil er gerade gehypt wird.
Trotzdem glaube ich, dass Menschen auch in maschinell geschaffener Kunst eine Tiefe finden und sich davon berühren lassen können. Für mich persönlich spielt jedoch der Mensch hinter der Kunst eine entscheidende Rolle. Oft verliebe ich mich in beides: den Künstler und sein Werk. Wenn mich jemand fasziniert, verfolge ich seine Arbeit gerne über Jahre hinweg – unabhängig davon.
vdm.digital Michael Hiller
Digitale Kunst wird immer präsenter. Glaubst du, dass der physische Körper auf der Bühne trotzdem unersetzbar bleibt?
Annika Hofgesang
Auf jeden Fall !
vdm.digital Michael Hiller
Wenn du einer KI die Aufgabe geben könntest, eine Choreografie auf Basis deiner Arbeit zu entwickeln, was müsste sie unbedingt ‚verstehen‘?
Annika Hofgesang
KI müsste vor allem ein tiefes Verständnis für die Essenz meines Tanzstils entwickeln. Ich würde ihr meine bisherigen Werke zeigen, da mein Stil teilweise von einem Ausdruck inspiriert ist, der an die Gebärdensprache des gesamten Körpers erinnert – jede Bewegung erzählt eine Geschichte, oft subtil, manchmal explosiv, und immer rhythmisch mit der Musik verflochten.
Die KI müsste außerdem in der Lage sein, kämpferische, kraftvolle Elemente mit klassisch-eleganten Bewegungen zu verbinden. Ein zentraler Aspekt meiner Arbeit ist jedoch das Einbinden unwillkürlicher Bewegungen, die von Störungsbildern wie z.B. Tourette inspiriert sind. Diese schaffen einen rauen, authentischen Kontrast und geben den Choreografien ihre Einzigartigkeit.
Das Ziel wäre eine Bewegungsform, die nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern auch extrem individuell und ausdrucksstark ist – eine Verbindung aus Kontrolle und Kontrollverlust, Präzision und Chaos. Letztlich müsste die KI nicht nur meinen Stil nachahmen, sondern das, was Tanz für mich bedeutet, vollständig begreifen: ein Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele anhand von Beobachtung und anpassungsfähig an die Situation.
vdm.digital Michael Hiller
Wenn du einen Wunsch für die Zukunft des Tanzes frei hättest – was wäre das?
Annika Hofgesang
Schon seit Jahren träume ich davon, ein eigenes Theater zu haben oder an einem festen Haus angestellt zu sein, an dem ich regelmäßig meine eigenen Stücke aufführen kann. Eine weitere Vision wäre eine eigene Spielstätte, vielleicht in Form eines Zirkuszeltes, in dem verschiedene Kunstformen wie Tanz, bildende Kunst, Comedy und Musik aufeinandertreffen – allerdings mit einem einzigartigen, düsteren Konzept, das meine persönliche Handschrift trägt. Einen solchen Ort würde ich vielleicht „Blackbird Teritorium“ nennen.
Gleichzeitig kann ich mir gut vorstellen, weiterhin als Tänzerin, Schauspielerin und Tanzpädagogin aktiv zu sein, um meinen künstlerischen Ausdruck weiterzugeben. Doch egal, in welche Richtung mein Weg weiterführt, es wird immer Kunst bleiben.

vdm.digital Michael Hiller
Denkst du, dass digitale Bühnen und hybride Formate die Theaterlandschaft langfristig bereichern oder ersetzen könnten?
Annika Hofgesang
Ja und nein. Digitale Bühnen bieten uns natürlich eine bequeme Möglichkeit, Kunst zu erleben, ohne dafür Zeit oder Geld in den Besuch eines Theaters investieren zu müssen. Das empfinde ich jedoch als eine traurige Entwicklung unserer modernen Zeit. Besonders die jüngeren Generationen könnten dadurch den Wert und die Magie eines Live-Erlebnisses gar nicht erst richtig kennenlernen und schätzen lernen.
Theater live und hautnah zu erleben ist eine einzigartige Erfahrung. Es gibt uns so viel Menschlichkeit und eine spürbare Bereicherung, die man mit nach Hause nimmt – unabhängig von der Zielgruppe. Der direkte Kontakt zur Kunst ist intensiver und unmittelbarer als vor einem Bildschirm. Im Theater sind wir ganz präsent, ohne Ablenkung. Wir erleben Kunst in ihrer unverfälschten Form: Sie kann nicht pausiert, vorgespult oder wiederholt werden. Wir fühlen den Atem der Darsteller, die Wärme der Scheinwerfer und die besondere Atmosphäre des Raumes. Für mich ist das durch nichts zu ersetzen.
Nach einem Theater- oder Tanzstück fühlt man sich, als hätte man ein großartiges Buch gelesen – es regt zum Nachdenken an und beschäftigt einen noch lange. Außerdem ist die Aufführung etwas sehr Persönliches: Die Darsteller spielen exklusiv für das Publikum, das an diesem Abend im Saal sitzt. Es entsteht eine Wertschätzung, die man in einem digitalen Format nicht in dieser Intensität erleben kann.
Natürlich sind digitale Bühnen eine wunderbare Ergänzung, vor allem für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder anderen Herausforderungen, die ihnen einen Besuch im Theater erschweren. Sie schaffen mehr Zugänglichkeit und ermöglichen so einem größeren Publikum, Kunst zu erleben. Dennoch sehe ich sie eher als Bereicherung, nicht als Ersatz für das Live-Erlebnis auf der Bühne.
Annika, ich bedanke mich ganz herzlich für das ausführliche Gespräch mit dir!