Experten erwarten von der generativen Fertigung eine industrielle Revolution – auch in der Möbelindustrie.

Auch wenn sich der 3D-Druck bereits seit seiner Entwicklung in den 1980er-Jahren in Fahrzeugbau und im medizinischen Bereich zunehmend etabliert hat, hat sich dieses Produktionsverfahren in der Möbelbranche noch nicht durchsetzen können. Glaubt man jedoch den Experten, steht auch der Möbelindustrie die vierte industrielle Revolution bevor. Auf der interzum jedenfalls war dem Thema 3D-Druck gleich eine komplette Piazza gewidmet, samt Ausstellung und Vortragsforum.

Grundsätzlich handelt es sich beim 3D-Druck um übereinandergelegte Schichten eines 2D-Drucks. Gefüttert werden die Drucker – ähnlich wie bei herkömmlichen Druckern – mit einer Datei (hier einer CAD-Datei), die das dreidimensionale Modell in dünne zweidimensionale Schichten aufsplittet.

Doch was bedeutet das für die Möbelindustrie? Die generative Fertigung bietet zum Teil ganz neue formale Gestaltungsmöglichkeiten, die auch mit einem erheblichen Einsparpotenzial des eingesetzten Materials verbunden sind. Entwürfe mit komplexen Geometrien, mit Hohlräumen, Hinterschneidungen oder beweglichen Komponenten sind dadurch erstmals oder zumindest einfacher umzusetzen. „3D-Druck bietet die einzigartige Gelegenheit, nahezu ohne technische Einschränkungen zu gestalten“, freut sich etwa der Designer Sven Eberwein über die neuen Möglichkeiten. „Es ist ein freieres Arbeiten als mit anderen Verfahren, da man sich kaum mit technischen Barrieren auseinandersetzen muss. Produkte, die rein digital entworfen und umgesetzt werden, entwickeln eine völlig neue und avantgardistische Ästhetik.“ Dadurch ändert sich natürlich auch der Designprozess: „Es handelt sich um eine rein digitale Formfindung und -gestaltung unter Einsatz von unterschiedlichen Modelling- und Scripting-Tools“, erklärt Eberwein. “CAD-Tools werden nicht als Umsetzungs-, sondern als Gestaltungswerkzeug verwendet. Es ist ein intuitiver Designprozess, an dessen Ende druckbare 3D-Daten stehen. Aufgrund der wegfallenden Entwicklungszeiten ist der Gestaltungsprozess schneller als bei anderen Verfahren.“

Für seine Lampenschöpfungen Petala SLS und Cynara SLS kamen die Vorbilder aus dem Reich der Pflanzen; ihre Formen sollen Assoziationen zu Blüten und Blättern hervorrufen. Gestalt und Lichtintensität der Leuchten können über einen Schraubmechanismus beeinflusst werden.

Mit dem Thema Gewichtsreduzierung durch 3D-Druck beschäftigte sich beispielsweise das Fraunhofer Institut, das gemeinsam mit der Folkwang Universität der Künste den „Cellular Loop“ entwickelt hat. Der Freischwinger, gestaltet von Prof. Anke Bernotat, hat die Form eines naht- und endlosen Möbiusbandes und offeriert dem Betrachter seine außergewöhnliche Zellstruktur, die dem Aufbau von Knochen und Kieselalgen entlehnt ist, die über Jahrtausende hinweg ein optimales Verhältnis zwischen Materialeinsatz und Festigkeit geschaffen haben. Leicht, aber dennoch stabil will der Cellular Loop Steifigkeit und Elastizität in sich vereinen. Jede einzelne Zelle des Sessels kann zudem auf die lokale Belastung abgestimmt werden und so optimal an das Gewicht und die bevorzugte Sitzposition des Nutzers angepasst werden, während die äußere Form unverändert bleibt.

Die schwedische Designgruppe Front hat das Potenzial des 3D-Drucks schon in den Anfängen dieser Entwicklung erkannt und hat bereits 2004 für ihre Sketch-Möbelserie gleich zwei Verfahren miteinander kombiniert: Ein in die Luft gezeichneter Entwurf wird dabei mit Motion Capture aufgenommen und in eine digitale 3D-Datei umgewandelt, aus der dann per 3D-Druck ein echtes Möbelstück entsteht.

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Eine ganz andere Methode wählten die beiden Designer Kuniko Maeda (Tokyo, Japan) und Mario Minale (Neapel, Italien) des Rotterdamer Designstudios Minale Maeda für ihre Kollektion „Keystones“. Das Designkonzept der Kollektion reduziert die Gestaltung auf ein einziges Verbindungsstück, das im 3D-Druck-Verfahren hergestellt wird. Der so entstandene „Keystone“ hält die weiteren Komponenten – wie etwa Verstrebungen, Tischbeine, Tischplatten, die aus normalem Holz hergestellt werden – zusammen. Variabel in Größe und Material können so innerhalb der Kollektion individuelle Möbel entstehen. Zudem lässt sich der Logistik-Aufwand erheblich reduzieren.

Doch wird das alles bald schon Realität werden oder bleibt es eine bloße Zukunftsmusik, die sich allenfalls auf ein paar Exponate für Galerien beschränken wird? Denn momentan ist die Produktion noch sehr teuer. Ein einfach konstruierter Hocker kann schon mal mit 8.000 Euro zu Buche schlagen. Da aber 2009 einige wichtige Patente ausgelaufen sind, hat sich in den letzten Jahren im Bereich 3D-Druck einiges entwickelt. Und auch größer werdende Bauräume der Anlagen und neue Werkstoffsysteme eröffnen der Möbelindustrie zunehmend neue Möglichkeiten. Dennoch werden sich Produkte aus dem Drucker in der Möbelindustrie wohl zunächst auf Kleinteile aus Kunststoffen oder Metallen, wie etwa Beschläge, Griffe und Haken oder auf Verbindungselemente mit komplexen Geometrien beschränken. Doch an eine generelle Zukunft der Produktion mittels Drucktechnik glaubt auch Ursula Geismann, Trendanalystin vom Verband der Deutschen Möbelindustrie: „Ich glaube schon, dass das eine industrielle Revolution auslösen kann – aber vielleicht eher in zehn als in fünf Jahren.“

IMM Köln

vdm

 

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