KULTUR: Sie tragen Namen wie „Dead Pony Pale Ale“, „Cascade Amber Ale“ oder „Bad Holzhauser Landbier“. Und sie schmecken nicht nur gut, sie sind auch ein Statement. „Craft Beer“ heißt der Trend, der den Biermarkt seit Jahren ordentlich durcheinanderwirbelt. Ihre Wurzeln hat die Bewegung in den 1970er-Jahren. Einer Gruppe US-amerikanischer Studenten schmeckte die charakterlose Flüssigkeit, die man ihnen als Bier verkaufte, nicht mehr. Sie lernten das Handwerk („Craft“), brauten ihr Bier fortan selbst und legten so den Grundstein für „Microbreweries“ (Kleinbrauereien) weltweit.
Wie die Urväter der Craft-Beer-Bewegung in den USA waren auch die beiden Freunde James Watt und Martin Dickie von den Industrieprodukten gelangweilt, die im Jahr 2007 den britischen Biermarkt bestimmten. Statt jedoch zu jammern, gründeten die beiden BrewDog, die nach eigenen Worten größte unabhängige Brauerei Schottlands. Im ersten Jahr waren es 1.050 Hektoliter, die sie selbst in Flaschen füllten und auf Märkten in der Umgebung verkauften. Im Jahr darauf waren es bereits sieben Angestellte, und ihr Bier-Umsatz hatte sich vervierfacht. Und heute? – …arbeiten 224 Angestellte für Watt und Dickie. Mit 53.500 Hektolitern Bier gehören sie immer noch in die Kategorie der „Microbreweries“, verkaufen aber ihre Produkte in der ganzen Welt. Trotzdem steht für BrewDog nicht Wachstum und Profit im Fokus, sondern der Geschmack: „Ein Bierbrauer, der sein Produkt und sein Handwerk respektiert, wird immer höchste Standards anstreben, auch wenn er in hohem Tempo expandiert. Nicht Wachstum ist der Feind der Qualität – es sind Gier und Selbstgefälligkeit.“
Was hinter dem Zitat von BrewDog-Sprecherin Sarah Warman steht, ist eine der Triebfedern des Craft-Beer-Marktes: die Vermeidung von Eintönigkeit. In kaum einem anderen Wirtschaftszweig hat im Zuge der Globalisierung eine derartig starke Konzentration stattgefunden: Lediglich fünf Gruppen dominieren heute die Hälfte des Weltmarktes. Das hat zur Folge, dass sich die Biersorten in den Zapfhähnen der Welt immer ähnlicher werden. Woran das liegt, erklärt Stephan Glahs, der im Kurort Bad Holzhausen ein naturtrübes, untergäriges Landbier braut: „Mit einer größeren Menge an Ausstoß tritt man auch an eine größere Verbrauchermenge heran. Und je mehr Verbraucher es gibt, desto niedriger ist der erwartete Durchschnittspreis. Irgendwann wird es dann schwierig, ein wirklich hochwertiges Bier kaufmännisch vertretbar zu produzieren.“ Wie bei den meisten Kleinbrauereien steht Qualität auch bei der Brauerei „Rote Erde“ vor Wachstum. Glahs und sein Kompagnon Jürgen Hohnstädt vertreiben ihr Bier ausschließlich lokal: „Wir haben keine großen Ziele. Was kommt, das kommt.“
Die Nachfrage ist jedenfalls da: In den USA gibt es mittlerweile über 3.000 Kleinbrauereien, die im Jahr 2013 schon mit 7,8 Prozent am gesamten Bierabsatz beteiligt waren. Und diese Wachstumszahlen findet man mit graduellen Unterschieden in anderen Ländern überall auf der Welt. Von einem bloßen Trend will Sarah Warman dabei aber nicht sprechen: „Trends sind irgendwann vorbei. Craft Beers sind keine Mode wie der Robot-Dance oder enge Jeans. Es geht auch nicht um lustige Marken oder schrilles Etiketten-Design – es geht um Leidenschaft und Geschmack. Das ist kein Trend, das ist eine Revolution!“ Und das Schöne ist, dass man bei dieser Revolution im wahrsten Sinne des Wortes mitmischen kann, ohne Kopf und Kragen zu riskieren: Der Buchhandel führt mittlerweile rund 50 Titel zum Thema „Selber brauen“.
imm
vdm Michael Hiller